„Hallo? Hallo? Können Sie mich hören?“ Ramona Fuchs hat eine leblose Frau vorgefunden. Nachdem sie die Atmung geprüft hat, beginnt die angehende Notfallsanitäterin sofort mit der Reanimation. Derweil wird das hausinterne Notfallteam alarmiert. In den nächsten Minuten wird für die Patientin von der Beatmung bis hin zur Medikamentengabe alles medizinisch Mögliche getan. Assistenzarzt Jan-Nicolas Herzog übernimmt das Kommando. „Kirsten, du bist frei, übernimm den Defibrillator. Nächster Schock in 2 Minuten.“ Und siehe da: Ein Puls. Die Patientin lebt.
An diesem Tag ist die Patientin zum Glück aus Gummi – die Reanimation ist ein Training. Ein Training, das im Ernstfall Sicherheit geben soll. „Als großes Akutkrankenhaus betreuen wir täglich zahlreiche schwer erkrankte oder verletzte Patienten, bei denen eine unmittelbare Lebensbedrohung vorliegt“, erklärt Professor Dr. Andreas Sielenkämper, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin. „Bei der Behandlung solcher Patienten hat die Komplexität der notwendigen Behandlungsabläufe deutlich zugenommen. Gleichzeitig ist die Versorgung häufig zeitkritisch und die Behandlung in einem großen interdisziplinären Team bei fast allen Notfällen notwendig. Das Erlernen komplexer Strukturen und Algorithmen in der Notfallbehandlung, sowie die notwendige Kommunikation im Team sind durch rein theoretische Betrachtung aber nur unvollständig möglich.“
Aus diesem Grund wurden 2019 durch eine großzügige Spende der Lord-Stiftung zehn Simulationspuppen, vom Baby bis zum Erwachsenen, angeschafft. Eine spezielle Software ermöglicht den Simulationspuppen, wie echte Patienten zu reagieren. Sie simulieren Verbesserungen oder Verschlechterungen, manche von ihnen können sprechen und die Augen bewegen. Typische Trainingssituationen sind zum Beispiel reanimieren, intubieren, einen Luftröhrenschnitt setzen oder eine Regionalanästhesie legen. „Es ist eine innovative Lehrmethode, um sogar sehr erfahrenem Personal eine individuelle Möglichkeit zu geben, das eigene Verhalten zu verbessern“, erklärt Prof. Sielenkämper. „In der Simulation können wir kritische Situationen in einer geschützten Umgebung gefahrlos für Patient und Behandlungsteam darstellen. Gleichermaßen gibt es außerhalb der Notfallbehandlung viele Techniken, die mit Hilfe von geeigneten Simulationsgeräten vor der Anwendung am Patienten sehr gut geübt werden können. Diese Simulationen sind insbesondere auch für die Ausbildung von Berufsanfängern und auch Studenten bzw. Studenten im Praktischen Jahr absolut sinnvoll und effektiv. Damit verbessern wir die Versorgung unserer kritisch erkrankten und verletzten Patienten nachhaltig.“
Mit der Eröffnung des neuen Lord Zentrums für Medizinische Simulation in eigenen Räumlichkeiten wurde jetzt eine Umgebung geschaffen, in der die Mitarbeitenden des CaritasKlinikums noch besser trainieren können.
„Das Training heute ist sehr gut gelaufen“, resümiert Dr. Sascha Pradarutti, Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin und einer der ärztlichen Trainer im Schulungszentrum. „Besonders gut gefallen hat mir die Kommunikation.“ Es sei wichtig, im Anschluss an das Training nochmal alles durchzusprechen und auch Fragen zu beantworten und Probleme aufzuzeigen, so Pradarutti: „Nur so können wir uns verbessern. Im Notfall läuft vieles parallel. Da ist es besonders wichtig, auch das Zusammenspiel im Team zu üben.“
Hatte Jan-Nicolas Herzog eben noch das Sagen in der Notfall-Situation, wird er im nächsten Augenblick wieder zum Schüler. Oberarzt Matthias Busch erklärt ihm den neuen Ultraschall-Simulator. Bei einer Echokardiographie können zum Beispiel ein Herzinfarkt oder eine Lungenembolie realitätsnah nachgestellt werden. „Wir können am Gerät Dutzende verschiedene Krankheits-Szenarien einstellen, das macht den Mehrwert aus“, betont Professor Sielenkämper. „Dieses Gerät ist im südwestdeutschen Raum einzigartig.“ Im Anschluss kann Jan-Nicolas Herzog eine Periduralanästhesie üben, ein Verfahren zur Betäubung von Rückenmarksnerven, das zum Beispiel während der Geburt eingesetzt wird, um die Schmerzen der Frauen zu mildern. „Die Trainings helfen, meine eigene Leistung zu verbessern und geben mir Sicherheit“, resümiert der 30-jährige Assistenzarzt. „Im Ernstfall weiß ich dann, was mich erwartet.“
Bisher fanden rund 80 Trainings pro Jahr statt. Durch die neuen Räumlichkeiten kann dieses Angebot deutlich ausgebaut werden: Für das kommende Jahr sind über 120 Trainings geplant. In den speziellen Trainings wie Versorgung gynäkologischer Notfälle unter und während der Geburt, Schwerstverletzten-Versorgung nach Trauma oder Neugeborenen-Versorgung sollen in diesem Jahr über 400 Ärzte und Pflegekräfte geschult werden. Zusätzlich wird ein Basis-Reanimationstraining angeboten, das von allen Mitarbeitenden des Klinikums alle zwei Jahre verpflichtend durchgeführt werden muss.
„Die Nachfrage ist groß“, sagt Christian Wickert, Fachkrankenpfleger für Intensivmedizin und Anästhesie und Notfallsanitäter. „Auch Profis müssen üben. Die neuen Räumlichkeiten bieten uns wesentlich mehr Flexibilität, um das Trainingsszenario so realistisch wie möglich zu gestalten.“ Wickert ist mit einem festen Stellenanteil Trainer im Simulationszentrum. Im Basis-Reanimations-Training erklärt er, worauf es im Notfall ankommt: „Prüfen – rufen – drücken“ – das ist die oberste Devise in der Reanimation. Prüfen, ob sich der Brustkorb hebt und senkt, dann unter 2222 innerklinisch das hausinterne Notfallteam oder im öffentlichen Raum unter 112 den Rettungsdienst alarmieren und direkt mit der Herzdruckmassage beginnen. „Die Herzdruckmassage soll so tief und so schnell wie möglich durchgeführt werden“, erklärt Wickert. „Durch eine effektive Herzdruckmassage kann man den verbleibenden Sauerstoffanteil im Blut an die Organe transportieren, insbesondere zu Gehirn und Herz. Denn Zellen, die im Gehirn absterben, sind irreversibel verloren. Es muss also direkt etwas passieren, um ein Leben sinnvoll zu retten.“ Rund 1000 Menschen im Saarland erleiden jedes Jahr einen Herz-Kreislauf-Stillstand, der durch den Rettungsdienst behandelt wird. Die häufigste Ursache ist der Herzinfarkt.
„Im Notfall muss jeder Handgriff sitzen und alle Mitarbeitenden müssen wissen, was sie zu tun haben. Das ist elementar für die Abläufe in einer Klinik“, sagt Margret Reiter, Ärztliche und Kaufmännische Direktorin des CaritasKlinikums. „Deshalb ist für unsere Mitarbeitenden das stetige Training enorm wichtig. Dank der Lord-Stiftung und einem engagierten internen Projektteam konnte die Idee eines eigenen Schulungszentrums verwirklicht werden. Ich danke allen Beteiligten, die dieses Trainingszentrum mit Leben füllen.“
Mehr Informationen über die Lord-Stifung finden Sie hier: https://www.lord-stiftung.de/
Fotos: Nele Scharfenberg, Becker&Bredel
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