„Die Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen unterscheidet sich ganz wesentlich von der Behandlung akuter Schmerzen“, sagt Brigitte Jung. Sie ist Physiotherapeutin in der Schmerzklinik des CaritasKlinikums Saarbrücken St. Josef Dudweiler, die sich genau auf solche ‚Schmerzerkrankungen’ spezialisiert hat. „Alle Patienten, die zu uns kommen, bringen ihr individuelles ‚Gesamtpaket’ mit - ihre ganz eigene Geschichte. Sie sind häufig von einem Arzt zum anderen gegangen – ohne wirklich Hilfe erhalten zu haben. Die Aussage ‚Sie müssen mit den Schmerzen leben’ war oft unbefriedigend und führte nur zu noch mehr Frustration. Einen Aufenthalt in der Schmerzklinik sehen viele Patienten als ihre letzte Hoffnung auf eine bessere Lebensqualität.“
Mehr als zwölf Prozent der Bevölkerung leiden mittlerweile an chronischen Schmerzen und sind dadurch auf allen Ebenen beeinträchtigt. Der chronische Schmerz verändert das Verhalten in der Familie sowie im Beruf – und wird oftmals als massive Bedrohung empfunden. „Der Schmerz bestimmt meinen Alltag – nicht mehr ich selbst“ – dies ist eine der häufigsten Aussagen, die Brigitte Jung in ihrer täglichen Arbeit mit den Patienten hört. „Diese komplexe Thematik erfordert eine differenzierte und individuelle Beurteilung des Patienten – es ist immer eine Einzelfallentscheidung“, sagt sie.
„Trotz vieler Jahre Berufserfahrung konnte ich den chronischen Schmerzpatienten nicht so helfen wie ich mir das gewünscht hätte, als Therapeutin fühlte ich mich häufig machtlos und unzufrieden mit den Behandlungserfolgen“, blickt Brigitte Jung zurück. „Ich erlebte viele Patienten, die ‚Opfer’ ihrer Schmerzen waren – es war frustrierend für beide Seiten.“ Nach längerer Suche erfuhr Jung dann von der Weiterbildung zum ‚Speziellen Schmerzphysiotherapeuten’. Diese von der Deutschen Schmerzgesellschaft angebotene einjährige, berufsbegleitende Zertifizierung legt den Hauptfokus einerseits auf ein besseres Verständnis der Schmerzmechanismen bei chronischen Schmerzpatienten. Zum anderen geht es um aktive Schmerzmanagement-Strategien, die es dem Patienten ermöglichen, frühzeitig wieder selbst aktiv zu werden, dem Schmerz etwas entgegenzusetzen und dadurch wieder besser im Alltag zurecht zu kommen. Ende Oktober hat Brigitte Jung die Ausbildung in der Klinik Enzensberg in Füssen nach schriftlicher und mündlicher Prüfung erfolgreich beendet und ist damit eine der wenigen Physiotherapeuten im Saarland, die in der ‚Speziellen Schmerzphysiotherapie’ ausgebildet wurden.
Die 58-Jährige hat sich bewusst für die Arbeit mit chronischen Schmerzpatienten entschieden. Nach langjähriger selbstständiger Tätigkeit und Mitarbeit in einer naturheilkundlichen Klinik arbeitet sie jetzt seit fünf Jahren im Team der Dudweiler Schmerzklinik. „Schmerzpatienten wird man oft nicht gerecht – da ist noch viel Handlungsbedarf. Hier in Dudweiler haben wir ein starkes interdisziplinäres Team aus Ärzten, Pflege und Therapeuten, die auf Augenhöhe gut zusammenarbeiten.“
Brigitte Jung hat die Erfahrung gemacht, dass sich ohne Eigenaktivität des Patienten wenig verändern lässt. „Nur wer die Erfahrung gemacht hat, dass Bewegung nicht schadet, sondern positive Auswirkungen hat, wird sie dauerhaft beibehalten und aus dem Teufelskreis aus Schmerzen und Schonhaltung herauskommen. Der Fokus muss weg vom Schmerz und hin zu den Dingen, die der Patient selbst tun kann. Das ist die Basis, auf der man aufbauen kann. Jede noch so kleine positive Erfahrung stärkt das Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit und bringt dadurch den nächsten Stein ins Rollen“, sagt Brigitte Jung. Wichtig sei eine empathische Unterstützung und ein ganzheitliches Interesse an der Person die Hilfe sucht. „Auch wenn die Zeit im Stationsalltag häufig knapp ist, versuchen wir jedem Patienten die Zeit zu geben, die er braucht.“
„Durch diese spezielle Weiterbildung kann ich als Physiotherapeutin Patienten mit chronischen Schmerzen jetzt noch besser begleiten“, sagt Brigitte Jung. „Wir brauchen einen weiteren Blick auf den schmerzgeplagten Menschen.“ Der therapieresistente, chronische Schmerz ist eines der drängendsten Probleme der heutigen Medizin. Bereits jeder dritte Patient in den Arztpraxen wird wegen chronischer Schmerzen behandelt – und das meist unbefriedigend. „Wir müssen genauer hinschauen und die Schmerzmechanismen eines jeden chronischen Schmerzpatienten individuell analysieren – nur dadurch wird sich eine dauerhafte Besserung im Umgang mit chronischen Schmerzen einstellen“, fordert die Therapeutin. „Als Teil unseres interdisziplinären Behandlungsteams kann ich an der Herstellung einer tragfähigen und die Behandlung unterstützenden Beziehung zum Patienten beitragen. Letztendlich hat mir diese spezielle Zusatzausbildung weiteres Wissen vermitteln können, welches mir hilft, chronische Schmerzpatienten auf ihrem Weg noch besser begleiten zu können. Und was gibt es Schöneres, als wenn am Ende des Klinikaufenthaltes ein Patient sagt: „Der Schmerz ist immer noch nicht ganz verschwunden, aber er bestimmt nicht mehr allein meinen Alltag – jetzt bin ich wieder der Chef.“
Text: Nele Scharfenberg
Foto: Iris Maurer
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